Landwirtschaft 4.0: Die vierte Revolution auf dem Acker

01.03.2018

Quelle Budimir Jevtic Fotolia 160Dampf, Hydraulik, Elektronik und jetzt die Digitalisierung. Wer heute noch denkt, dass der typische Landwirt in Blaumann und Gummistiefeln mit dem Trecker über die Felder zuckelt, hat einiges verpasst. Landwirtschaft oder Agrar 4.0 bringt alles, was schon aus dem Industrie-Sektor bekannt ist, in die landwirtschaftlichen Betriebe. Von der auf jede Pflanze abgestimmte Nährstoffmenge bis hin zur automatisierten Landmaschine. Smart Farming und Precision Farming lauten die Schlagworte...

 

Bauernhof 4.0

Wer das Wort „Bauernhof“ hört, denkt automatisch an rustikale Landwirte mit einem herben Wortschatz, Düngergeruch in der Luft und harter, ehrlicher Handarbeit. Der typische Hof besteht idealerweise aus einem kleinen Laden, der das geerntete Obst und Gemüse verkauft, einem Wohnhaus, mehreren Ställen und einer Garage für die Landmaschinen. Und wer das im 21. Jahrhundert noch glaubt, der hat einiges verpasst.

Tatsächlich ist es so, dass auf modernen Höfen die Arbeit schon längst begonnen hat, während der Landwirt noch am Frühstückstisch sitzt und den ersten Kaffee des Tages genießt. Drohnen steigen auf, scannen mit Kameras und empfindlichen Sensoren die Felder. Wie sieht der Nährstoffgehalt im Boden aus? Sehen die Pflanzen gesund aus? Welche Wettervorhersage meldet der Satellit? Wie ist der Wartungsstand der Maschinen und Fahrzeuge? All diese Daten fließen zusammen und landen auf dem Rechner, dem Tablet oder dem Smartphone des Farmers.

Fällt ein Wert aus der Reihe, beispielsweise durch Schädlingsbefall, können umgehend Gegenmaßnahmen ergriffen werden, indem der Agronom mit dem Pflanzenschutzmittel präzise nur die befallenen Areale behandelt. Welche das sind, zeigt ihm ein Monitor, beispielsweise direkt in der Fahrerkabine des Traktors mit der Pestizidspritze. Das spart Zeit und schont Umwelt, Ressourcen und natürlich auch den Geldbeutel.

Aber nicht nur bei den Pflanzen spielt die Digitalisierung eine immer größere Rolle. Wer den ein oder anderen Hof etwas genauer betrachtet, wird immer häufiger Solar-Paneele auf den Dächern finden, die den Strom für allerlei technische Finesse liefern, wie zum Beispiel Pedometer.

Diese wiederum messen die Vitalfunktionen von Nutztieren und melden dem Bauern, wenn Kuh Bertha reif für die Besamung ist, oder wann sie wieder gemolken werden muss. In diesem Fall wird bei hoch technologisierten Höfen gleich eine ganze Kette an Prozessen gestartet. Der Computer übermittelt die Informationen an die Ställe, in denen sich die Türen der zu melkenden Tiere öffnen und sie über ein Leitsystem zu den Melkstationen führt. Die neuen Bezeichnungen Smart und Precision Farming haben mit dem ursprünglichen Bild des idyllischen Urlaubs auf dem Bauernhof wahrlich nicht mehr viel zu tun, jedoch bieten diese Entwicklungen und selbständigen Abläufe den Landwirten die Möglichkeit, den Kopf frei zu bekommen und sich um andere Dinge kümmern zu können. Zumindest in der Theorie.

 

Landwirtschaft 4.0: Gespaltene Meinungen zu digitalen Bauernhöfen

Auch wenn man hinsichtlich dieser Veränderungen in der Landwirtschaft nicht generalisieren darf, findet das alte deutsche Sprichwort „Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht!“ noch heute Anwendung. Dabei sind die Begründungen so unterschiedlich wie zahlreich.

Heißt es aus dem einen Lager, dass es schlicht und einfach schon immer ohne digitale Unterstützung ging, warnen andere schon deutlich spezifischer vor den „Gefahren“ der Digitalisierung und dem Umgang mit Daten: Wem gehören diese? Lässt sich der Anspruch der Verbraucher auf eine komplett transparente Lebensmittelproduktion mit dem Datenschutz des Produzenten vereinen? So kurios es klingt: Die German Angst, also die typisch deutsche Zögerlichkeit, macht auch vor Nutzvieh nicht Halt.

Auf der anderen Seite gibt es Landwirte, die von den bereits jetzt vorhandenen Möglichkeiten begeistert sind. Als ein Beispiel soll hier das von der Fritzmeier Umwelttechnik vertriebene ISARIA-System dienen. Die an der Front des Traktors montierten Sensorarme messen unter anderem den Stickstoffgehalt des Bodens, überprüfen die Farbe der Pflanzen, messen und berechnen den exakten Nährstoffbedarf und dosieren die benötigten Mengen, so dass die Effizienz gesteigert, der Zeit- und Kostenfaktor gesenkt werden kann. Darüber hinaus kann das System im Online-Modus zusammen mit einem automatischen Lenksystem den Traktor autonom und präziser, als es jeder Fahrer könnte, über die Felder führen. Zwar werden alle anfallenden Informationen noch immer zum Landwirt geleitet, der diese im Auge behalten muss, dennoch bietet die digitale Unterstützung eine enorme Erleichterung.

 

Ein Versuch, beide Lager zufrieden zu stellen kommt von der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG). Die Organisation hat ein Positionspapier verfasst, das acht Forderungen zu Digitalisierung, Datenschutz und -infrastruktur umfasst:

  • Infrastruktur für mobile Telekommunikation ausbauen, da die unzureichende Versorgung die Entwicklung der Landwirtschaft ausbremst.
  • Sämtliche betriebliche Daten gehören dem Landwirt.
  • Datenschutz und -sicherheit müssen ausgebaut, Betriebs- und Geschäftsdaten der Landwirte geschützt werden.
  • Landwirte müssen aus den Daten ihrer Geschäfte einen Nutzen ziehen können.
  • Schaffung von Transparenz bei Big-Data-Analysen.
  • Öffentliche und behördliche Daten, wie zum Beispiel Wetter-, Kataster- und Bodendaten sowie Wegenetze in standardisierten Datenformaten als Open Data bereitstellen.
  • Digitalisierung nutzen, um Verbraucher und Landwirte enger zusammen zu führen.
  • Aus- und Weiterbildung stärken, um Qualifikationen für die Digitalisierung zu gewährleisten.

 

Wie schnell kommt Agrar 4.0?

Dass Handlungsbedarf im Agrar-Sektor besteht, daran besteht kein Zweifel. Um ihrem Unmut Luft zu machen und sich Gehör zu verschaffen gingen letztes Jahr im Januar mehr als 18.000 Landwirte in Berlin auf die Straße und demonstrierten. Es müsse ein Umdenken stattfinden, denn die aktuelle Ernährungs- und Agrarpolitik schade kleineren Betrieben – immerhin wird der Beruf des Landwirts immer anspruchsvoller. Durch all die Maschinen und bereits vorhandenen Roboter, wie zum Beispiel Melkmaschinen und Melkroboter, auf den Höfen ist es ohne eine qualifizierte Ausbildung, auch mit Hinsicht auf Digitalisierung, kaum noch möglich, einen solchen Betrieb effizient zu führen.

Vorschläge aus der Politik, künftig vermehrt auf Drohnen zurückzugreifen, um zeitintensive Begehungen der Felder zu vermeiden, klingen im ersten Moment noch gut. Allerdings sind auch hier zum Teil enorme Kosten verborgen. Drohnen an sich sind schon nicht günstig. Sollen sie außerhalb der Sichtweite fliegen, dann müssen die Bauern einen Führerschein als Drohnenführer machen.

 

Agrar 4.0 – Milchmädchenrechnung oder doch ein richtiger Boom?

Nicht alles, was nach Zukunft klingt, hat auch tatsächlich das Zeug dazu, Zukunft zu werden. Bereits vor einigen Jahren nahm die Digitalisierung der Landwirtschaft an Fahrt auf. So wurde allein von Bayer CropScience im Jahr 2014 fast 4,9 Milliarden Dollar in Startup-Unternehmen investiert, welche Innovationen für Ernährungs- und Landwirtschaft entwickelten. Im Folgejahr stieg diese Summe auf über 8,3 Milliarden Dollar an. Alles sah nach einem lupenreinen Boom aus, bis 2016 die Investitionen auf 6,9 Milliarden Dollar einbrachen. Grund dafür waren die einsackenden Weltmarktpreise für Landwirtschaftsgüter. Ein Aspekt, der sich auch heute noch kaum vorhersehen und berechnen lässt. Ein Mitarbeiter einer Beratungsfirma bemerkte zum damaligen Zeitpunkt: „Der Hype um die digitale Landwirtschaft ist erst einmal vorbei.“.

Das galt vielleicht für den Moment, im Hier und Jetzt ist davon allerdings nicht mehr viel zu spüren – im Gegenteil. Laut einer bitkom-Umfrage investieren bereits 28 Prozent der befragten Landwirte in die Fort- und Weiterbildung zu digitalen Kompetenzen in ihren Betrieben. Eine „Hitliste“ der intelligenten Helfer auf den Höfen zeigt die Bereitschaft, mit digitaler Unterstützung effizienter, umwelt- und kostenschonend zu wirtschaften.

 

Welche Technologieen kommen bei Agrar 4.0 zum Einsatz

Einer Smart Farming Umfrage von PricewaterhouseCoopers zufolge haben bereits 54 Prozent der Landwirte bereits in digitale Technologien investiert, 17 Prozent der Befragten glauben sogar, sich mittlerweile als „Profis“ auf dem Gebiet bezeichnen zu können. Mit 58 beziehungsweise 45 Prozent kommen auf den Höfen GPS-Nutzung und intelligente Landmaschinen am häufigsten vor. Auf Platz drei liegen Agrar-Apps und Onlineplattformen mit 39 Prozent. Je knapp die Hälfte der Betriebe konnten dadurch ihre Effizienz im Schnitt um elf Prozent steigern und den Einsatz von Pestiziden um etwa den gleichen Wert senken.

Allerdings sind sich auch Dreiviertel der Studienteilnehmer einig, dass die enormen Einstiegskosten die größte Hürde für den Start in die Digitalisierung darstellen. Auch der Weltmarkt hat sich mittlerweile beruhigt und schaut einem moderaten Wachstum entgegen. Die Beratungsgesellschaft Roland Berger sieht bis 2020 einen Marktwert von 4,5 Milliarden Euro – bei durchschnittlichen Wachstumsraten von etwa 12 Prozent. Vor allem die Tatsache, dass heute noch viele Betriebe ohne Datenmanagementsysteme arbeiten, birgt ein unheimliches Potenzial in diesem Gebiet.

Zwar zeigt sich die baden-württembergische Ministerin für den Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, Friedlinde Gurr-Hirsch, etwas verhaltener, denn es werden „(…) durch die Digitalisierung auch weitere Flurneuordnungen notwendig, woraus sich neue Herausforderungen für die Vermessungs- und Flurneuordnungsämter ergeben.“, aber auch sie sieht gerade in Hinsicht auf Forschung und Anbieterseite enorme Wachstumsmöglichkeiten.

 

Vorteile von Landwirtschaft 4.0 für die Verbraucher

Richtet man den Blick auf den Endverbraucher, muss noch etwas mehr Transparenz ins Spiel gebracht werden. Vorbildlich wäre eine Art Datenkette für die Lieferkette, denn in deren einzelnen Stufen kommen diverse Kontrollsysteme zum Einsatz, die einen einheitlichen und übersichtlichen Datenaustausch nur schwer ermöglichen.

Um es zu verdeutlichen: Bisher werden nur Informationen weitergegeben, die belegen, dass ein Betrieb unter Einhaltung der Vorgaben produziert – die Produktionsdaten an sich bleiben aber in Obhut des Betriebs, was ständige Kontrollen nach sich zieht. Ziel der Organisation Connecting Food ist es beispielsweise, mit Hilfe einer Block Chain dem Endverbraucher den vollen Überblick zu gewähren. Hat dieser die entsprechende Handy-App, kann er den Datenblock des Produktes, beispielsweise Schweinefleisch, vom Schlachter über die Fütterung, das Platzangebot und die Haltung bis hin zur Einstallung des Tieres zurückverfolgen.

Hier gilt es für den Landwirtschaftsbetrieb abzuwägen: Zwar gibt er mit den überlieferten Daten viele Informationen preis, die ihn zu einem „gläsernen Betrieb“ machen könnten. Dafür trägt er einen nicht geringen Teil dazu bei, das verloren gegangene Vertrauen vieler Verbraucher wiederherzustellen. Wer hätte noch vor ein paar Jahren gedacht, dass Karotten und Mastschweine einmal elementarer Bestandteil der Frage des Datenschutzes werden!?




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